Brack Logo

Lohnt es sich, Tagebuch zu schreiben?

01.12.2025

Liebes Tagebuch – heute habe ich mich gefragt, welchen Sinn du erfüllst. Seit Jahrtausenden vertrauten Menschen dir ihre Gedanken an; von Königinnen über Soldaten bis hin zu Teenagern in der Pubertät. Du warst Zuflucht, Spiegel, manchmal sogar Zeugnis der Geschichte. Und heute? Heute wirkst du beinahe schon altmodisch, dabei bist du womöglich sogar wichtiger denn je.

Ich weiss, ich weiss. Es ist lange her, dass ich mich zuletzt bei dir gemeldet habe. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, wie lange genau; vielleicht zehn Jahre, vielleicht fünfzehn, vielleicht sogar beinahe zwanzig. In dieser Zeit hat sich einiges verändert, und ich habe dir unfassbar viel vorenthalten. Doch weisst du, geschätztes Tagebuch, heute musste ich an dich denken. Ja, an dich. Nicht daran, meine Gedanken mit dir zu teilen, und auch nicht daran, in die Zeilen der Vergangenheit einzutauchen. Ich habe über Tagebücher nachgedacht. Und ich habe recherchiert.

Wie viele Menschen schreiben Tagebuch?

Vor etwas mehr als zwei Jahren führte die Stiftung für Zukunftsfragen in Deutschland eine Umfrage zum Tagebuchschreiben durch. Von den 3'000 Befragten gaben 8 % an, sich wenigstens einmal wöchentlich an ihr Tagebuch zu wenden – und 3 %, es täglich zu tun. Wie du siehst, bin ich leider nicht die Einzige, die ihr Tagebuch vernachlässigt. Doch auch wenn diese Prozentzahlen auf den ersten Blick ernüchternd scheinen, sollten wir nicht vergessen, dass Millionen von Menschen hinter ihnen stehen. Trotz der Digitalisierung gehören Tagebücher noch lange nicht der Vergangenheit an. 

Das Wort Vergangenheit – ja, an meinem Wissensdurst hat sich nichts verändert – führte mich dann auch schon zu meiner nächsten Frage: Wie lange schon werden Tagebücher verfasst? Und welche Bedeutung haben sie im Hinblick auf die Geschichte?

So weit reicht deine Geschichte zurück

Dass Tagebücher eine wesentliche Rolle in der Beweisführung von historischen Ereignissen spielen, ist kein Geheimnis. Ich wusste bereits, dass es sie schon seit einer sehr langen Zeit geben muss. Ich wusste nur nicht, dass ihre Wurzeln bis in die Antike zurückreichen – nein, weiter noch. Das älteste bekannte «Tagebuch» soll das eines altägyptischen Beamten namens Merer gewesen und vor über 4'500 Jahren verfasst worden sein. Merer dokumentierte logbuchartig den Transport von Kalkstein für den Bau der Grossen Pyramide. Es ist das älteste erhaltene Schriftstück, das einem Tagebuch nahekommt. Das bedeutet so viel wie: Vielleicht gab es sogar noch ältere Tagebücher, die den Lauf der Zeit nicht überdauerten und von denen uns nur noch eine vage Vorstellung bleibt.

Tagebücher, die bis heute bewegen

Unter den Tagebüchern aus der Vergangenheit finden sich auch welche, die weit über ihre Zeit hinaus Bedeutung erlangt haben. Sie sind Teil der Weltliteratur. Das bekannteste Beispiel ist das Tagebuch von Anne Frank, das durch seine eindringliche Ehrlichkeit und Menschlichkeit bis heute berührt.

Quelle Bild: Unsplash | Kelly Sikkema

Hat es Vorteile, Tagebuch zu schreiben?

Indem ich mich dir anvertraue, liebes Tagebuch, gehe ich auch ein gewisses Risiko ein – schliesslich könnte dich jemand finden und, nun, lesen. Das wäre … kein Weltuntergang, ehrlich gesagt, aber durch und durch unangenehm. Weshalb also überhaupt Tagebuch schreiben? Wieso den Tag nicht einfach rein gedanklich Revue passieren lassen, ohne ihn schriftlich festzuhalten? Die Antworten liessen nicht lange auf sich warten: Das Schreiben eines Tagebuchs soll zahlreiche Vorteile haben, und nicht selten im therapeutischen Kontext empfohlen werden. Zu den Vorzügen gehören beispielsweise …

  • Stressreduktion: Regelmässiges Schreiben hilft, belastende Situationen zu verarbeiten und Abstand zu gewinnen, was das Stressempfinden verringern kann.
  • Emotionsverarbeitung: Durch das Aufschreiben von Gedanken und Gefühlen können innere Spannungen abgebaut und emotionale Erlebnisse besser verstanden und eingeordnet werden.
  • Selbstreflexion: Im Tagebuch entsteht Raum, über das eigene Denken, Fühlen und Handeln nachzudenken und daraus persönliche Einsichten zu gewinnen.
  • Problemlösung: Das schriftliche Formulieren eines Problems hilft dabei, es aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und mögliche Lösungen zu erkennen.
  • Gedächtnis: Das Festhalten von Erlebnissen stärkt die Erinnerungsleistung, weil Informationen beim Schreiben tiefer verarbeitet und besser abgespeichert werden.
  • Kommunikation: Durch das regelmässige Schreiben wird ein klareres Ausdrucksvermögen entwickelt, was auch die mündliche und zwischenmenschliche Kommunikation verbessert.
  • Selbstverständnis: Tagebuchschreiben unterstützt die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und hilft, Werte, Ziele und Bedürfnisse bewusster wahrzunehmen.
  • Sprache: Durch das Schreiben wird der Wortschatz erweitert, die grammatikalische Sicherheit verstärkt und das Bewusstsein für sprachliche Nuancen verfeinert.

Studien zeigen: Tagebücher können zur mentalen Gesundheit beitragen

Damit das Ganze auch etwas Hand und Fuss hat, sehen wir uns das jetzt mal aus der wissenschaftlichen Perspektive an. Bei meiner Recherche bin ich auf eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2022 gestossen. Tatsächlich führte Journaling in einem statistisch signifikanten, aber kleinen Mass zur Verringerung von psychischen Beschwerden. Zusammengefasst sind die Werte mit Journaling um etwa 5 % besser als ohne Journaling. Dabei wurde der stärkste Effekt bei Angst (7 %) und PTSD (6 %) festgestellt. Bei Depressionen hingegen ist der Effekt mit 2 % am geringsten ausgefallen. Eine andere Meta-Analyse aus demselben Jahr kommt zu derselben Erkenntnis: Die Effekte des expressiven Schreibens seien klein, aber bedeutend.

Das Tagebuch kann somit förderlich für die mentale Gesundheit sein, wird allein jedoch nicht ausreichen. Nichtsdestotrotz halten wir fest: Eins zu führen ist eine gute Sache.

Verschiedene Arten, Tagebuch zu führen

Aber Tagebuch ist nicht gleich Tagebuch. Damit meine ich nicht nur deine Form, geschätztes Tagebuch, sondern vor allem, wie du genutzt wirst – und wie regelmässig. So spielt beispielsweise eine Rolle, ob physisch oder digital geschrieben wird: Ein klassisches Notizbuch, eine Notiz-App oder ein digitales Notizprogramm erfüllen unterschiedliche Bedürfnisse. Digitales Journaling setzt sich zunehmend durch, und mittlerweile gibt es sogar speziell dafür entwickelte Tagebuch-Apps. Doch das ist nicht der einzige Wandel. Heute finden nicht nur Worte, sondern auch Bilder in dir Platz, genauso wie Skizzen und Farben. Kreative Elemente hinzuzufügen ist einfacher denn je, und Bullet Journaling wird immer beliebter.

Ob es sich lohnt, hängt auch vom Zweck ab

Um jedoch wieder auf die Essenz zurückzukommen: Nicht jedes Tagebuch hat dasselbe Ziel. Manche sind wie Logbücher und werden täglich geführt, andere fassen die wichtigsten Punkte der Woche zusammen. Und je nachdem, welchem Zweck das Tagebuch dient, wird sich der Inhalt unterscheiden. So schreiben die einen Dinge auf, für die sie dankbar sind, während die anderen Fortschritte bei persönlichen Zielen notieren oder über Erlebnisse und Entscheidungen reflektieren. Manche Tagebücher dienen schlicht der Kreativität und Inspiration, während andere klar strukturiert sind, um Organisation und Planung zu unterstützen.

Letztlich hängt die Art des Tagebuchs immer davon ab, welchen Nutzen die schreibende Person daraus ziehen möchte. Und ein Ziel zu haben, hilft, dranzubleiben.

Wie wichtig ist das Tagebuch heute?

In einer Welt, die von Schnelllebigkeit, Reizüberflutung und digitaler Dauerpräsenz geprägt ist, hat das Tagebuch eine neue Bedeutung gewonnen. Es bietet einen selten gewordenen Raum der Stille; einen Ort, an dem Gedanken nicht bewertet, sondern einfach festgehalten werden dürfen. Ob handgeschrieben oder digital – Tagebuchschreiben ist eine Form der Selbstfürsorge, die Achtsamkeit und Reflexion fördert. Es hilft, innezuhalten und das eigene Leben bewusster wahrzunehmen. Vielleicht ist das Tagebuch also heute wichtiger denn je, gerade weil wir es so leicht vergessen.

Das heisst dann wohl, liebes Tagebuch, dass ich dich wieder aufgreifen sollte – zumindest gelegentlich.

 

Quelle Titelbild: Unsplash | Jamie Hagan

Duygu Özdemir

Marketing Manager Editorial Content

Wenn ich mal nicht gerade damit beschäftigt bin, meiner literarisch-kreativen Ader freien Lauf zu lassen, stecke ich höchstwahrscheinlich in einem Netflix-Marathon fest («Nur noch eine Folge!»), unterhalte ich mich angeregt über die verschiedensten Themen, lese ein gutes Buch oder fordere mich selbst mit einem neuen Hobby heraus. Meine Wissbegierde kennt keine Grenzen, und hier habe ich die Möglichkeit, sie auszuleben und mit anderen zu teilen.

Alle Beiträge der Autorin anzeigenicon/arrowRight
,
FacebookLinkedinRedditXWhatsapp