
Sieben Platten an einem Tag – Mit dem Velo um die Welt [Teil 3]
Es gibt Tage auf der Velo-Weltreise von Claudine und Jason, da läuft alles rund. Bilderbuchmässige Erlebnisse am Laufmeter – reinste Ferienstimmung. Und dann gibt es die anderen Tage. Zähe Tage, an denen die beiden sich jeden Kilometer hart verdienen müssen. So wie der 30. November 2021...
An jenem 30. November starteten wir ziemlich früh am Morgen in Horasan, in der Osttürkei. Als Ziel hatten wir uns Eleskirt herausgesucht. 63 Kilometer und 900 Höhenmeter waren zu überwinden. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Vor allem nicht, da die Strasse schön asphaltiert war und die Steigung auf dem Höhenprofil mehr als machbar erschien.
Doch schon als wir losfuhren, spürten wir den Wind. Kalt und unerbittlich blies er uns entgegen. Für uns aber kein Problem: Wir waren guter Dinge und die Landschaft wirklich spektakulär. Und auch der Verkehr war angenehm. Die Strasse war gar nicht so stark befahren. Vor allem Lastwagen trafen wir an.
Am Strassenrand lagen viele Reste von abgefahrenen LKW-Reifen. Ein Zeichen dafür, dass die Strasse eine wichtige Lieferroute sein musste und viele Lastwagen die Strecke nutzten. Wir versuchten, den Reifenresten so gut es ging auszuweichen. Denn oft enthielten die Reifenreste winzige Drähtchen, die nur zu gerne einen platten Veloreifen verursachen.
Panne Nr. 1
Aber unsere Vorsicht hatte uns leider nichts gebracht. Kurz vor Mittag mussten wir den ersten Platten flicken. Jasons Hinterrad fiel einem solchen fiesen Drähtchen zum Opfer. So vermuteten wir zumindest.
Mit selbstklebenden Patches überklebten wir das Loch im Veloschlauch und tasteten das Innere des Reifenmantels ab. Wir fuhren mit unseren Fingern von oben nach unten, von links und rechts – aber nichts! Unsere Finger waren so kalt und taub, wir konnten nichts spüren.
Na gut. Vielleicht war das Drähtchen beim Untersuchen des Reifenmantels von selbst runtergefallen. In guter Hoffnung montierten wir den Reifenmantel wieder aufs Rad und setzten unsere Reise fort.
Während unserer kleinen Reparatur-Pause hatte sich der Wind verstärkt. Wir bewegten uns immer noch bergaufwärts und mussten einige Male von unseren Sätteln absteigen und die Velos schieben. Aber nicht wegen der Steigung – der Wind war so stark. Eiskalt blies er uns entgegen und liess uns bibbern.
Die Pannen nehmen ihren Lauf
Als wäre der eisige Wind nicht schon Hindernis genug, verlor Jasons Hinterrad erneut Luft.
Wieder dasselbe Prozedere: Rad ab, Loch finden, patchen, Zentimeter um Zentimeter den Reifenmantel abtasten, wieder nicht fündig werden und erneut in hoffnungsvoller Naivität, alles hätte sich das Problem von selbst geregelt, das Rad wieder zusammenbauen.
Ab diesem Punkt wurde die Strecke richtig zäh. Die Bise machte uns das Fahren schwer und Jasons Hinterrad verlor etliche Male Luft. Vier weitere Male, um genau zu sein. Und noch immer konnten wir den Verursacher nicht finden. Unsere Finger waren klamm gefroren, der Wind eisig und unerbittlich und wir spürten die Kälte bis auf unsere Knochen.
Doch dann, kurz vor 15:00 Uhr, erreichten wir die Spitze des Passes auf 2'210 Meter über Meer. Wir waren durchgefroren, aber glücklich. Endlich waren wir über den Berg. Ab jetzt geht es nur noch bergab.
Bergab geht es hoffentlich auch schneller voran. Denn viel Zeit blieb uns nicht mehr. Wir hatten gerade mal 32 Kilometer der geplanten Route zurückgelegt. Und in einer Stunde würde die Sonne untergehen. Dann würde es erst so richtig kalt werden.
Auf Talfahrt
Wir knipsten noch kurz ein Foto, bevor wir wieder in die Pedale traten.
Und wie wir traten.
Es ging zwar bergab, doch der Wind war stärker. Mit 9 km/h kämpften wir uns den Berg hinunter. Wir spürten unsere müden Beine, unsere kalten Hände, die untergehende Sonne und dann … erneut einen platten Reifen. Wieder war es Jasons Hinterrad.
Glücklicherweise kam auf der linken Strassenseite eine Tankstelle in Sicht. Das einzige Gebäude, seitdem wir in Horasan losgefahren waren. Wir stoppten und mit einem Blick auf die Uhr und Jasons Hinterrad entschieden wir uns, beim Tankstellenwart zu fragen, ob wir allenfalls unser Zelt im Windschatten des Gebäudes aufbauen konnten.
Türkische Gastfreundschaft
Der Tankstellenwart sprach kein Englisch, doch wir verständigten uns mit Händen und Füssen. Er bat uns in sein Büro, wo er uns heissen Tee am Kamin anbot. Nur zu gerne nahmen wir dieses Angebot entgegen. Das Zelt neben seiner Tankstelle aufzustellen, kam für ihn jedoch nicht in Frage. Zu kalt.
Wir sollten lieber in der Tankstellen-Moschee übernachten. Da sei es warm. Und wir seien sicher. Was sollen wir sagen? Die türkische Gastfreundschaft ist einfach unglaublich. In der Türkei ist man mit einem Problem nie allein. Im ganzen Land trafen wir auf unfassbar herzliche, wohlwollende und grosszügige Menschen.
Wir verbrachten also den Abend im Büro des Tankstellenwarts, tranken mit ihm und seinen Freunden Tee, assen eine Suppe und untersuchten mit warmen Fingern nochmals Jasons Hinterreifen.
Und tatsächlich! Hier in der Wärme ertasteten wir schlussendlich doch noch dieses fiese, kleine Drähtchen, das Jasons Schlauch dermassen oft zerstochen hatte. Mit einem flinken Griff zur Zange war es denn auch aus dem Reifen herausgezogen. Sieben Platten hatte dieses nicht einmal 1cm lange Drähtchen verursacht.
Kurz nach 23:00 Uhr fielen wir todmüde, aber überglücklich, in der angrenzenden kleinen Moschee ins Bett, respektive auf unsere aufblasbaren Matten.
Was für ein unvergesslicher Tag! Nichts hatte so geklappt wie geplant. Doch wäre alles nach Plan gelaufen, wäre so eine Reise ja auch langweilig und wenig erzählenswert. So jedoch werden wir diesen 30. November trotz oder gerade wegen der zäh gestrampelten Kilometer und der darauffolgenden erfahrenen warmherzigen Gastfreundschaft wohl noch lange in positivster Erinnerung behalten.
Das war Teil 3
Hat dir dieser Beitrag gefallen? Wenn du Lust auf mehr hast, lies doch unsere vorherigen Posts. In Teil 1 erzählen wir vom Beginn unserer Reise, der uns von der Schweiz bis in den Iran geführt hat. Ausserdem verraten wir dir, welche Produkte für uns im Alltag am nützlichsten sind.
In Teil 2 Berichten wir von unseren Erlebnissen in Ruanda, wo wir aufgefallen sind wie zwei Rosa Elefanten.
Am Dienstag, 26.07.2022 erscheint unter brack.ch/weltreise der nächste Post unserer Weltreise.
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