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Zwei rosa Elefanten in Ruanda – Mit dem Velo um die Welt [Teil 2]

24.05.2022

Wir begleiten Claudine und Jason in unserem Blog bei ihrer Velo-Reise um die Welt. Wo sie hingehen, ziehen sie die Blicke auf sich. Doch in Ruanda spitzt sich diese Aufmerksamkeit zu.

Ich klammere den Lenker fester, besorgt darum, keines der unzähligen Kinder anzufahren. Immer wieder greifen die kleinen Hände nach unseren Kleidern, Taschen und Haaren. Ungewohnt und herausfordernd. Aber irgendwie verständlich. Schliesslich rollen nicht jeden Tag zwei rosafarbene Elefanten durch Ruanda.

Ich schlage die Augen auf. Über mir hängt ein zerlöchertes, vom Sonnenlicht gelblich verfärbtes Mückennetz. Ich seufze und kratze an einem Stich an meiner linken Hand. Neben mir erwacht Jason: «Morgen, Mzungu.» Ich muss schmunzeln und schüttle den Kopf: «Das war was gestern.» Wieder schüttle ich den Kopf und frage dann, «denkst du, sie sind noch da?»

Jason zuckt mit den Schultern: «Keine Ahnung. Aber lass uns mal hier drinnen frühstücken und die Zimmertür erst öffnen, wenn wir alles gepackt haben. Dann müssen wir nur noch die Fahrräder beladen und können so schnell wie möglich von hier verschwinden.» Ich stimme ihm zu. Das ist wohl das Klügste.

Doch was gestern genau passiert ist, erklären wir euch später.

Von unserer Zeit im Iran sind wir uns viel Aufmerksamkeit gewohnt. Radelten wir da mit unseren voll bepackten Fahrrädern irgendwo um die Ecke, wurden wir gefeiert wie Popstars. Wir wurden begrüsst, beschenkt und eingeladen. Dazu kamen die zahlreichen Handy-Selfies, die die Iraner mit ihrer ganzen Familie teilten. Einen Eindruck, wie unser Tagesablauf im Iran aussah und wie uns die Einheimischen begegneten, seht ihr in diesem Video:

Keine Popstars mehr

Ruanda hingegen ist eine andere Nummer. Noch immer ziehen wir viel Aufmerksamkeit auf uns – aber nicht mehr, als wären wir Popstars. Vielmehr fühlen wir uns wie zwei exotische Zootiere. Zwei komische Kreaturen. So Aufsehen erregend wie rosafarbene Elefanten. Vom Velo über die Kleider zu unserer Hautfarbe – alles an uns ist anders. Für die Kinder dort sind wir die reinste wandelnde – oder besser gesagt radelnde – Attraktion.

Und so reisen wir seit Tagen nirgends mehr allein hin. Ständig folgt uns eine kleine Horde Kinder und Teenager. Barfüssig laufen sie neben uns her – über mehrere Kilometer hinweg. Dabei durchlöchern sie uns mit ihren neugierigen Blicken, saugen jedes Detail auf und rufen «Mzungu, Mzungu». Mit Mzungu meinen die Einwohner von Ruanda hellhäutige Menschen. Sie rufen uns wohl so zu, um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen und um alle anderen über unsere Ankunft zu informieren. Nur zu oft spüren wir dazu ihre kleinen Hände auf unseren Fahrradtaschen oder unseren Körpern. Auch werden wir immer mal wieder von den grösseren Kindern an den Haaren gezogen. Unsere Haare, die sich so anders anfühlen als die ihrigen.

Das grüne Land der tausend Hügel

Gestern legten wir einen besonderen Streckenabschnitt zurück. Unser Weg führte uns auf dem berüchtigten «Congo Nile Trail» über Stock und Stein dem «Lake Kivu» entlang. Die Aussicht und die Fahrt waren gleichwohl atemberaubend. Ruandas Landschaft ist einmalig und wunderschön. Ein grüneres Land haben wir wohl selten gesehen.

Das Land der tausend Hügel machte seinem Namen alle Ehre. Haben wir einen bewaldeten Hügel überwunden so folgte schon der nächste. Und darauf der nächste. So kam es, dass wir gestern in nur 32 Kilometern über 1'200 Höhenmeter erklommen. Zweifellos: Der «Congo Nile Trail» war sowohl einer der schönsten als auch einer der härtesten Abschnitte unserer bisherigen Reise. Die Strassen waren nicht nur steil, sondern an vielen Stellen schwer passierbar. Nur zu oft mussten wir von unseren Velos steigen und sie übers Geröll heben. Glücklicherweise hatten wir Glück mit dem Wetter – vielleicht fast zu viel Glück. Die Sonne brannte auf uns nieder und die Luftfeuchtigkeit sorgte für richtig «tüppiges» Klima.

Jason stösst sein Velo eine Geröllstrasse empor

Zu den körperlichen Strapazen kamen noch die psychischen hinzu. Alle paar Kilometer begleitete uns eine Gruppe Kinder. Laut und munter trotteten sie neben uns her – eine wahre Geduldsprüfung.

Hinter dem grünen Tor

Entkräftet, durstig und mit zahlreichen Kindern im Schlepptau erreichten wir ein kleines Dorf mit einer einfachen Herberge. Hier planten wir die Nacht zu verbringen und uns auszuruhen.

Im Dorf hatte sich die Zahl der Kinder dann auf einmal verdoppelt – möglicherweise sogar verdreifacht. Und es schienen immer mehr dazuzukommen. Von überall her strömten sie auf uns zu. Mit beiden Händen klammerte ich mich an den Lenker, besorgt darum, kein Kind anzufahren und gleichzeitig nicht vom Fahrrad zu stürzen.

Langsam kämpften wir uns durch die Massen und erreichten schlussendlich unter ohrenbetäubenden Rufen das grünliche, metallene Tor der Herberge. Wir hievten die schweren Fahrräder über die Schwelle und drückten das Tor hinter uns ins Schloss.

Puh! Endlich geschafft.

Da standen wir also, im Innenhof der Herberge. Hinter uns erhob sich eine zwei Meter hohe Mauer, die uns von den schreienden Kindern trennte. Wir schauten uns um – der Bau war ziemlich in die Jahre gekommen.

Wir wollten gerade die Taschen von unseren Velos abladen, als wir in unseren Augenwinkeln Bewegungen auf der Mauer erspähten.

Ein Kinderkopf schaute über die Mauer.

Daneben erschien noch ein zweiter, ein dritter und ein vierter. Die Kinder begannen über die Mauer zu klettern! «Das passiert jetzt nicht wirklich, oder?», rief ich Jason zu. Doch er hatte schon begonnen, die Tür zur Herberge zu öffnen und hastig sein Fahrrad hinein zu bugsieren: «Bring dein Fahrrad her! Wir gehen hier nicht mehr raus!»

Drinnen begrüsste uns in der hier gesprochenen Sprache Kinyarwanda der zirka zwanzigjährige Besitzer der Herberge. «Wir brauchen ein Zimmer für eine Nacht», und – mit einem Blick nach draussen in den Innenhof, wo sich einzelne Kinder nun daran machten, die Mauer auf der Innenhofseite runterzuklettern – «und, wenn möglich, würden wir gerne auch drinnen zu Abend essen.» Jason mimte mit seinen Händen erst eine schlafende Person, dann eine Essende. Der Besitzer nickte lächelnd und deutete mit der Hand auf eine Tür mit der Nummer Vier.

Im winzigen Raum dahinter befand sich unterhalb eines durchlöcherten und vergilbten Mückennetzes ein Bett. Mehr befand sich nicht im Raum. Es hätte auch keinen Platz für mehr gehabt. «Duschen?», fragte ich und mimte mit meiner Handbewegung einen Duschkopf. Der Besitzer nickte und zeigte auf einen Eimer Wasser und eine Tür am Ende des Ganges.

Das spartanische Zimmer in der Jugendherberge

Wir zuckten die Schultern. Eine Alternative gab es sowieso nicht. Wir quetschten unser Gepäck ins kleine Zimmer, lehnten die Fahrräder an die Wand und schlossen sie mit einem Schloss zusammen. In der Zwischenzeit hatte der Besitzer unser Abendessen organisiert: Matooke (Bananenbrei) mit Dodo (grünem Blattgemüse) und Bohnen. Hungrig verschlangen wir die Mahlzeit, bevor wir uns mit dem Eimer Wasser wuschen und dann müde ins Bett fielen.

Das war Teil 2

Hat dir dieser Beitrag gefallen? Wenn du Lust auf mehr hast, lies doch unseren vorherigen Post. Dort erzählen wir vom Beginn unserer Reise, der uns von der Schweiz bis in den Iran geführt hat. Ausserdem verraten wir dir, welche Produkte für uns im Alltag am nützlichsten sind.

Am Dienstag, 28.06.2022 erscheint unter brack.ch/weltreise der nächste Post unserer Weltreise.

Und wenn du immer auf dem aktuellen Stand sein willst, wo wir uns gerade befinden, folge uns auf Instagram @monopedalia.

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