
Eine kleine Geschichte des Scheiterns am ESC
Beim Eurovision Song Contest bestand immer schon die Aussicht auf besonders trashige Momente. Wir haben einige der grössten Tiefschläge und Misserfolge aus der Geschichte des ESC für dich zusammengestellt.
Du schaust den Eurovision Song Contest nicht zuletzt in der Hoffnung, dass es ab und zu etwas zum Lachen oder Augenrollen gibt? Live musst du dir dafür auch eine Menge professionell gemachter, musikalisch aber nicht unbedingt interessanter Beiträge zu Gemüte führen. Peinliche Momente aus der Vergangenheit im Konzentrat liefert dir unser Blogbeitrag – sauber chronologisch geordnet.
Keine Punkte fürs eigene Land! Was sich am ESC seit Jahrzehnten als eiserne Regel bewährt hat, kann auch für uns nicht verkehrt sein. Sowohl im Beitrag über ESC-Auftritte, die in Erinnerung bleiben, als auch hier schweigen wir deshalb nobel über die Darbietungen der Schweiz. Natürlich können wir uns weder Eigenlob noch Lästern ganz verkneifen, aber wir tun es nicht hier, sondern separat im Artikel «Es ist kompliziert: Die Schweiz und der Eurovision Song Contest».
1976: Biggi Bachmann, Liechtenstein
Die Interpretin trifft definitiv keine Schuld an der Nullnummer. Nicht einmal «zero points» gibt es für Liechtenstein, nein, der Beitrag aus dem Ländle wird schon gar nicht erst zugelassen. Dabei hatte man doch geglaubt, alles beisammen zu haben für die erste ESC-Teilnahme: Mit Biggi Bachmann und dem Lied «My little cowboy» wollte Liechtenstein endlich auch ins Geschehen eingreifen. Was offenbar allen Beteiligten entgangen war: Die Regeln des ESC besagen, dass ein landeseigener TV- oder Radiosender den Beitrag anmelden muss. Verflixt – weder das eine noch das andere gibt es damals in Liechtenstein. Und die Veranstalter sind nicht geneigt, eine Ausnahme zu machen. Bis heute ist Liechtenstein dem Contest ferngeblieben, während Biggi Bachmann 1979 noch an der Schweizer Vorausscheidung teilgenommen hat, ohne zu reüssieren.
1978: Jahn Teigen, Norwegen
Gefühlvoller Schlager? Operette? Rocksong? Oder Selbstparodie? Jahn Teigen will ein bisschen zu viel auf einmal und scheint in jeder Strophe und jedem Refrain eine andere seiner Qualitäten zeigen zu wollen, unterstützt durch viel Gestik und Körpereinsatz. Der Gedanke, dass die Performance vielleicht absichtlich ein bisschen clownesk daherkommen könnte, dämmert einem erst gegen Schluss, als Teigen beginnt, im Rhythmus an seinen Hosenträgern zu zupfen. Zum Finale seines Songs legt er noch einen sauberen Grätschsprung hin, die Urteile sind aber wohl schon gefällt. Nicht einmal die oft beschworene skandinavische Solidarität kommt hier zum Zug: Die ebenfalls teilnehmenden Schweden, Dänen und Finnen ignorieren den norwegischen Kandidaten geflissentlich bei der Punktevergabe. Er wird somit der erste Teilnehmer seit der Einführung eines neuen Punktesystems im Jahr 1975, der mit null Punkten nach Hause reist. Die Norweger? Empfangen Jahn Teigen mit offenen Armen. Zur Entschädigung für den ESC-Flop machen sie sein Lied zu einem Nummer-1-Hit im eigenen Land.
1982: Kojo, Finnland
Mit seinem Beitrag «Nuku pommiin» ist Timo Kojo alias Kojo am ESC 1982 im nordenglischen Harrogate definitiv zur falschen Zeit am falschen Ort. Zugegeben, perfekt ist seine Performance nicht und den einen oder anderen Ton verfehlt er knapp. Dass er die Heimreise mit null Punkten antritt, ist aber vor allem dem zuzuschreiben, dass sein Auftritt, umrahmt von einer Rockband, viel zu aufmüpfig ist für die damaligen ESC-Jurys. Es müssen noch viele Jahre vergehen, bis Lordi für Finnland mit Rockmusik den Contest gewinnen. Allerdings: Hätte Kojo damals Punkte geholt, wäre er heute nicht annährend die Legende in Finnland, die er ist. Die Erinnerung an ihn lebt nicht zuletzt darin weiter, dass ein 0:0 im Eishockey – und dieser Sport ist in Finnland wichtiger als Fussball – heute noch als «Kojo-Kojo» bezeichnet wird.
1988: Wilfried, Österreich
Lektion gelernt – dachte sich wohl der Rocker Wilfried, als er 1988 für Österreich mit einer Schnulze beim ESC antrat. Eigentlich war es nicht sein Metier: Nachdem er unter anderem der erste Sänger der später sehr erfolgreichen Satire-Pop-Combo Erste Allgemeine Verunsicherung gewesen war, hatte er in den frühen 80ern mit einer Verbindung aus Punkrock und NDW junge Fans begeistert. Aber halt mal – schreit der Künstlername «Wilfried» nicht nach einer Schlagerkarriere? Was auch immer ihn dazu bewogen haben mag, 1988 trat der Österreicher mit einem Beitrag beim ESC an, der auf den damals noch hyperkonservativen Anlass zugeschnitten schien. Das Problem: Für Punkrock und Satire-Pop hat Wilfried eine super Stimme. Für Balladen… tja. Dass es für diesen Auftritt null Punkte gab, kommt nicht völlig überraschend.
2002: Michalis Rakintzis, Griechenland
Achtung Trash-Alarm! Hier kommt ein Fall für hartgesottene Liebhaber. Ist dir Italo-Disco ein Begriff? Dieses Genre fiel in den 80er Jahren mit oftmals amateurhaftem Gesang und fürchterlichem Englisch auf und übt deshalb noch heute einen gewissen Charme auf geneigte Hörer*innen aus. Auch Italo-Disco-Fans aber dürften ihren Augen und Ohren kaum getraut haben, als Griechenland 2002 mit einem Machwerk dieser Art die Herzen Europas zu erobern versuchte. Kommt hinzu, dass Michalis Rakintzis und seine Mannen in retro-futuristischen Kriegerkostümen auftraten, eine lustige Choreografie aufführten und dabei dreinblickten, als würden sie es todernst meinen. Für diesen brutal aus der Zeit gefallenen Beitrag reichte es für den 17. Platz von 24 – vielleicht, weil immerhin der Synthesizer zu begeistern vermochte.
2003: Jemini, United Kingdom
Vor den ungläubigen Augen und Ohren des Publikums in der lettischen Hauptstadt Riga und hinter den Fernsehgeräten in ganz Europa liefert ausgerechnet die ehrwürdige Popmusiknation Grossbritannien eine der blamabelsten Vorstellungen ab, die der ESC je erlebt hat. Zwei Faktoren sind verantwortlich für das Desaster: Erstens bebt Sängerin Gemma Abbey förmlich vor Nervosität. Zweitens hat der Song «Cry Baby» eine beliebig wirkende Basslinie, die den Song überhaupt nicht trägt. Im Ergebnis trifft Gemma Abbey beim ersten Ton ins Blaue und wurstelt sich von da bis zum Ende des ersten Refrains komplett losgelöst von der Tonlage des Backing Tracks durch das Lied; auch das Einsetzen ihres Partners Chris Cromby ändert nichts. Dilettantischer klang es selten von der ESC-Bühne herab, da helfen auch Styling und Tanzkünste wenig. Für das Duo gibt es einen lupenreinen Nuller. Das Desaster ist so gross, dass die beiden postwendend von ihrem Label vor die Tür gesetzt werden.
2007: Scooch, United Kingdom
Bitte, liebe Briten, glaubt mir, ich bewundere euer musikalisches Vermächtnis. Aus keinem anderen Land stehen so viele Platten in meiner Sammlung wie aus dem Vereinigten Königreich. Trotzdem, uns übrige Europäer behandelt ihr manchmal ein wenig wie musikalisch Minderbemittelte. Nun gut, am ESC wollt ihr nicht eure wahren Stars verheizen, verstanden. Aber muss es gleich so daherkommen, als wären wir hier alle im Kindergarten sitzengeblieben? Der musikalisch debile Beitrag «Flying the Flag» von Scooch aus dem Jahr 2007 scheint vor allem mit der Bühnenshow punkten zu wollen, die zwischen «wir tun so, als wären wir im Flugzeug» und «wir tun so, als wären wir Flugzeuge» pendelt. Beim TV-Publikum und den Jurys machte sich Gähnen breit; ein abgeschlagener 22. Platz war die Quittung.
2017: Manel Navarro, Spanien
Wer einen limitierten Stimmumfang hat und Töne nicht mit Sicherheit trifft, sollte sowas unbedingt sein lassen. Manel Navarro tut es dennoch: Im kurzen Break vor dem Finale seines Songs «Do it for your lover» versucht er es mit einer kraftvoll in hoher Tonlage herausgeschrienen Rock-Einlage – und scheitert dabei so kläglich wie ein mittelmässiger Karaoke-Sänger, der sich erstmals an eine Rocknummer heranwagt. Hätte er darauf verzichtet, hätte sein Beitrag vielleicht Chancen auf eine unauffällige Platzierung im hinteren Mittelfeld gehabt. So aber ist das Rennen gelaufen und Spanien landet auf dem letzten Platz mit null Punkten aus der Jury-Wertung. Wer sich nicht langweilen möchte, springt im Video gleich zur Stelle bei 2:20.
Nicht alles ist Trash
Rümpfst du beim Begriff ESC sogleich die Nase und hast du sowieso schon lange keine Show mehr live gesehen? Ob du nicht vielleicht doch die eine oder andere bemerkenswerte Performance verpasst hast, kannst du in unserem Blog nachprüfen: ESC-Auftritte, die in Erinnerung bleiben
Quelle Titelbild: Unsplash | Matthias Wagner
Content Marketing Manager
Schreiben ist meine Profession und Leidenschaft. Ich liebe es, mich den unterschiedlichsten Themen und Textformen zu widmen und beim Recherchieren Fachwissen aus allen möglichen Bereichen zu erwerben. Abgesehen davon, dass ich für Brack.Alltron Blog- und Ratgeber-Inhalte verfasse, bin ich auch aktiver Historiker.
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