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ESC-Auftritte, die in Erinnerung bleiben

07.05.2025

Was ist der Eurovision Song Contest in seinem Kern – ein Musikwettbewerb oder eine Plattform für gesellschaftliche Themen? Wie man dazu auch steht, in beiderlei Hinsicht hat der ESC schon Relevantes hervorgebracht.

Gehörst du zur Eurovision-Fangemeinde, dann kennst du wohl die meisten, wenn nicht alle der grössten Hits, die der ESC im Laufe von fast sieben Jahrzehnten hervorgebracht hat. Perlen gibt es jedoch auch unter den Beiträgen, die kaum oder gar nicht mit Punkten belohnt wurden. Vielleicht entdeckst du in unserem Blogbeitrag ja sogar noch eine! Solltest du, ganz im Gegenteil, ehemalige ESC-Sieger wie Dana International oder Lordi nur dem Namen nach kennen, dann hast du hier die Gelegenheit, dich diesbezüglich upzudaten.

Keine Punkte fürs eigene Land! Was sich am ESC seit Jahrzehnten als eiserne Regel bewährt hat, kann auch für uns nicht verkehrt sein. Sowohl hier als auch im Beitrag «Eine kleine Geschichte des Scheiterns am ESC» schweigen wir deshalb nobel über die Darbietungen der Schweiz. Natürlich können wir uns weder Eigenlob noch Lästern ganz verkneifen, aber wir tun es nicht hier, sondern separat im Artikel «Es ist kompliziert: Die Schweiz und der Eurovision Song Contest».

1958: Domenico Modugno, Italien

Zweimal muss Domenico Modugno beim ESC im niederländischen Hilversum auftreten, da beim ersten Mal die TV-Übertragung nicht einwandfrei klappt. Der Italiener lässt sich nichts anmerken und bietet eine weitere leidenschaftliche Performance, gesanglich makellos und begleitet von viel Gestik. Am Ende muss er sich mit Rang drei begnügen, doch es gelingt ihm etwas Bedeutsameres: Während der Siegertitel von damals (André Claveau mit «Dors, mon amour») – wie viele andere siegreiche Beiträge – in Vergessenheit gerät und heute nur noch Insidern bekannt ist, wird Modugnos «Nel blu, dipinto di blu» zu einem Hit, der sogar die Spitze der US-Charts erklimmt. Und heute, 67 Jahre nach Modugnos Auftritt am ESC, ist sein Beitrag immer noch eines derjenigen Lieder, an die man beim Begriff «Canzoni» als erstes denkt. Übrigens, gemeinhin kennt man das Stück vor allem als «Volare». Na? Eben.

1965: France Gall, Luxemburg

1965 zeigt sich beispielhaft das Muster, nach welchem der ESC in den ersten Jahrzehnten funktioniert: Die meisten Länder entsenden einen Beitrag, der möglichst gefällig ist und musikalisch einigermassen ausgetretenen Pfaden folgt. Durchsetzen tut sich dann aber bisweilen das Gewagte, Progressive. Beim ESC 1965 in Neapel tritt die blutjunge France Gall für Luxemburg an, denn ihr Heimatland Frankreich möchte sich nicht zu sehr exponieren. Ihr Beitrag «Poupée de cire, poupée de son», komponiert von Serge Gainsbourg, klingt zwar für moderne Ohren nach Sixties par excellence. Im Vergleich mit den lieblichen Nummern der Konkurrenz fällt ihr Beitrag aber ungleich dringlicher und energiegeladener aus. Als Einzige ist sie wirklich auf der Höhe der Zeit und räumt mit ihrem Beitrag verdientermassen ab.

1974: ABBA, Schweden

Schon auf den ersten Blick wird klar, dass die Schwed*innen von ABBA wissen, wo es lang geht im Showbusiness: Nicht bloss singen können sie, sondern auch bei den Kostümen beweisen sie – bei allem Glamour – auch Geschmack. Ernsthaft cool ist ausserdem die sternförmige Glitzergitarre von Björn Ulvaeus. Nicht zuletzt aber ist «Waterloo» ein verdammt guter Popsong. Hier kennt eindeutig jemand das Rezept für den ESC-Sieg, und vermutlich wären ABBA über jedes andere Ergebnis auch reichlich enttäuscht gewesen. Bestimmt war der Triumph am Song Contest Teil ihrer Karriereplanung; anders ist es kaum zu erklären, dass sie es wie keine anderen Interpreten geschafft haben, den Anlass als Sprungbrett für eine Weltkarriere zu nutzen. Von «Waterloo» verkauften sie 6 Millionen Singles – the rest is history.

1983: Remedios Amaya, Spanien

Zugegeben, nun wird es ein wenig persönlich. Ich behaupte, dass der Auftritt von Remedios Amaya am ESC einer derjenigen ist, die man nicht so schnell vergisst – wenn man ihn einmal gesehen hat. Ist es vielleicht der beste Beitrag, der jemals mit null Punkten bestraft worden ist?

Einige Steine werden der Flamenco-Sängerin in den Weg gelegt, bevor sie 1983 am ESC in München teilnehmen kann. Das schwarze Kleid, mit dem sie auftreten will, eigens für den Anlass entworfen vom Modeschöpfer Tony Benítez, missfällt den Veranstaltern vor dem ebenfalls dunklen Bühnenbild. Amaya zeigt sich in einem weissen Kleid – und prompt rümpfen die Veranstalter die Nase wegen dem hohen Kontrast. Schliesslich weicht sie auf ein blau-weisses Kleid aus, zu welchem sie allerdings keine passenden Schuhe hat. In dieser Not fällt sie den Entscheid, barfuss auf die Bühne zu gehen.

Denkwürdig ist ihr Auftritt aber nicht deswegen: «¿Quién maneja mi barca?» erweist sich aus heutiger Sicht als Highlight aus dem ESC-Archiv, ein seltenes Beispiel eines Beitrags, der über Jahrzehnte hinweg keinen Staub angesetzt hat. Trotz dem Null-Punkte-Ergebnis – für mich musikalisch etwas vom Besten, was ich im ESC-Kontext gehört habe. Die Welt war damals vermutlich noch nicht bereit für Remedios Amaya.

1998: Dana International, Israel

Die Geschichte des ESC als Eisbrecher für queere Menschen beginnt mit dem Auftritt und Sieg von Dana International 1998 in Birmingham. Dass hier eine Frau singt, die früher im Leben einmal ein Mann war, dazu noch mit einer wunderbaren, weiblich anmutenden Stimme – das hatte es am ESC zuvor noch nie gegeben und hatte auch gesellschaftlich noch Sprengkraft. Ohne Zweifel, das vorgetragene Lied – eine Dance-Nummer mit einem dramatischen Break in der zweiten Hälfte – und die Performance überzeugten. Thema Nummer eins schien damals allerdings die Sexualität der Interpretin zu sein. Zweifellos darf ihr Sieg als Statement der ESC-Community für gesellschaftliche Offenheit gewertet werden – müssig die Frage, wie sehr dieser Faktor in die Entscheidung mit hineingespielt hat.

2006: Lordi, Finnland

Na gut, die Kinder dürfen noch ein wenig aufbleiben – im TV läuft ja nur der vermeintlich harmlose Eurovision Song Contest. Dann kommt mit Nummer 17 der Beitrag aus Finnland, eine Horde Monster entert die Bühne und Alpträume scheinen diese Nacht vorprogrammiert. Dabei hat die Band Lordi eigentlich nur das Konzept der Hardrock-Band Kiss fürs neue Jahrtausend adaptiert. Der Schock-Effekt zielt in erster Linie darauf ab, dass – verdammt nochmal – jemand zuhört und merkt: Hey, hier wird richtig guter Hardrock gespielt! Und in der Tat, hinter den Masken stecken echte Musiker, und der Song «Hard Rock Hallelujah» vermag auch als solcher zu überzeugen. Auch wenn stilistisch mehrheitlich vergangene Zeiten rezykliert werden, für den ESC-Sieg hat es gereicht.

2010: Lena, Deutschland

Echtheit ist das Gebot der Stunde. Nichts kalkuliert Wirkendes, allzu offensichtlich Professionelles will das Publikum sehen – davon hat der ESC über all die Jahre hinweg schon genug geboten. Und so eröffnet sich für Lena Meyer-Landrut eine Chance, von der Millionen träumen: Die 18-Jährige bewirbt sich Ende 2009 für die deutsche ESC-Vorausscheidung und entwickelt sich über mehrere Ausscheidungsshows hinweg zur Favoritin. Innert weniger Monate wird sie in Deutschland von einer Schülerin wie jeder anderen zum Star der Stunde. Schliesslich setzt sie sich, angetreten unter ihrem Vornamen Lena, tatsächlich durch und darf ihr Land am ESC in Oslo vertreten. Das Beeindruckende: Lena bleibt bei all dem Rummel cool. Dass sie stimmlich keine Wucht ist? Davon lässt sie sich nicht irritieren. Sie macht ihr Ding, bleibt charmant – und vor allem echt. Mit dem Sieg in Oslo gelingen ihr ein Triumph und die Krönung eines wahrhaft kometenhaften Aufstiegs.

2014: Conchita Wurst, Österreich

Conchita Wurst und mit ihr das ESC-Publikum brechen 2014 eine Lanze fürs Anderssein. Dass eine transsexuelle Person den Contest gewinnen kann, weiss man seit Dana International; der Auftritt selber verriet jedoch weder optisch noch akustisch etwas davon. Conchita Wurst will 2014 etwas ganz anderes erreichen. Der Österreicher Tom Neuwirth will mit seiner Kunstfigur dazu ermutigen, zum eigenen Anderssein zu stehen, Offenheit und Nonkonformität zu leben. Tatsächlich gelingt es ihm dank seinem Triumph am ESC, seine Botschaft an eine riesige Öffentlichkeit zu tragen: Selten hat ein*e Gewinner*in so viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Auch wem der ESC schnuppe ist, kennt Conchita Wurst. Alles keine Selbstverständlichkeit: In Österreich hatten vor dem Auftritt viele an den Chancen des Beitrags ihres Landes gezweifelt.

2022: Rosa Linn, Armenien

Rosa Linn bringt zum ESC in Turin ihr eigenes Bühnenbild mit und ist zuerst hinter einer Wand vor dem Publikum versteckt, nur die Kamera kann sie einfangen – Corona lässt grüssen. Als sie endlich hervortritt, ganz in Weiss, ist der Jubel des Saalpublikums frenetisch. Weniger begeistert zeigen sich die Jurys und Fernsehzuschauer*innen: Für Rosa Linn und ihren Song «Snap» reicht es nur zum 20. Platz von 25. Das ist der Sängerin wohl mittlerweile reichlich egal: Via TikTok wurde das Lied zum Charts-Hit und ist heute einer der am häufigsten heruntergeladenen ESC-Beiträge aller Zeiten.

Auch weniger glorreiche Momente bleiben in Erinnerung

So toll und glanzvoll wie die in diesem Artikel erwähnten Auftritte ist nicht immer alles am Eurovision Song Contest. Böse Zungen behaupten, für manche stehe der Trash-Faktor beim ESC sogar klar im Vordergrund. Gehörst du zu jener Fraktion oder magst du wenigstens schmunzeln über suboptimal geglückte Auftritte, dann führ dir auch unsere kleine Geschichte des Scheiterns am ESC zu Gemüte.

Quelle Titelbild: Adobe Stock Nr. 765199397

Yves Lenzin

Content Marketing Manager

Schreiben ist meine Profession und Leidenschaft. Ich liebe es, mich den unterschiedlichsten Themen und Textformen zu widmen und beim Recherchieren Fachwissen aus allen möglichen Bereichen zu erwerben. Abgesehen davon, dass ich für Brack.Alltron Blog- und Ratgeber-Inhalte verfasse, bin ich auch aktiver Historiker.

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