
Ich wollte Marie Kondo sein. Aber dann kam das Leben dazwischen.
Du öffnest die Schublade, nur um nach einem Kugelschreiber zu kramen. Stattdessen findest du alte Konzerttickets, lose Schrauben, einen kaputten Schlüsselanhänger und ein mysteriöses Kabel, das bestimmt irgendwo noch hingehört. Willkommen im echten Leben.
Minimalismus klingt auf Social Media immer so easy: Instagram quillt über vor perfekt aufgeräumten Wohnungen, in denen alles weiss, beige oder maximal salbeigrün ist. Kein Kabelsalat, keine Kram-Schublade, kein Krimskrams. Minimalismus wirkt so herrlich befreiend, aber irgendwie auch so unerreichbar. Falls du beim Wort «Ausmisten» lieber spontan die Steuererklärung machen würdest: keine Sorge. Du bist nicht allein.
Die Minimalismus-Illusion – Warum es alle wollen, aber kaum jemand schafft
Du willst endlich aufräumen, ziehst eine Schublade auf – und zack, bist du gefangen zwischen Nostalgie und schlechtem Gewissen. Hier liegt das grösste Problem: Dinge sind für uns oft mehr als nur Gegenstände. Sie erinnern uns an Menschen, Erlebnisse oder Lebensphasen. Und genau deshalb fühlen sie sich so schwer an, wenn wir sie wegwerfen sollen. Manchmal verursacht gerade das Loslassen Stress. Deshalb bleiben wir lieber beim Altbewährten: Deckel zu, Chaos weg. Zumindest bis zum nächsten Aufräum-Flash. Ich weiss nicht, wie oft ich mir schon vorgenommen habe, endlich aufzuräumen. Aber sobald ich anfange, bin ich schneller wieder in der Falle zwischen Nostalgie, schlechtem Gewissen und dem Gedanken: «Vielleicht brauche ich das ja doch noch… irgendwann.» Und ganz ehrlich: So leer wie auf Instagram will ich’s gar nicht haben. Wo sollen denn bitte meine ganzen schönen Erinnerungsstücke hin?
Marie Kondo: die Ikone des Aufräumens
Kaum jemand steht so sehr für Minimalismus wie Marie Kondo. Ihre Bücher wurden millionenfach verkauft, ihre Netflix-Serie hat Millionen inspiriert oder zumindest für ein schlechtes Gewissen gesorgt. Denn während sie mit sanfter Stimme erklärt, dass wir nur noch Dinge behalten sollen, die «Spark Joy» entfachen, sitzen viele von uns zuhause zwischen Stapeln voller «Könnte man ja noch brauchen»-Zeug und fragen sich, warum uns ein alter Haargummi plötzlich so sentimental vorkommt. Marie Kondos Prinzip klingt einfach: Jedes Teil in die Hand nehmen und sich fragen, ob es Freude bringt. Wenn nicht, dann weg damit. Klingt super. Wäre da nicht das Leben, das ständig dazwischenfunkt: Geschenke, Erinnerungsstücke, praktische Ersatzteile, von denen man nie weiss, wann man sie plötzlich braucht.
Wie funktioniert das Aufräum-Prinzip eigentlich?
Falls du Marie Kondo bisher nur vom Hörensagen kennst: Ihr berühmtes System heisst KonMari-Methode. Und die ist eigentlich ziemlich simpel – zumindest in der Theorie. Der Kern ihrer Philosophie lautet: Behalte nur, was «Joy» (Freude) bringt. Dafür nimmst du jedes einzelne Teil in die Hand und fragst dich: «Macht mich das glücklich?» Wenn die Antwort «Nein» lautet, soll es weg. Die Methode geht dabei nach festen Kategorien vor, und zwar in einer bestimmten Reihenfolge:
- Kleidung
- Bücher
- Papiere
- Kleinkram (Komono)
- Sentimentale Gegenstände
Der Gedanke dahinter: Du trainierst erst an einfachen Dingen (z. B. T-Shirts) dein Entscheidungsvermögen und wagst dich dann an emotional schwierige Erinnerungsstücke. Zudem braucht jedes Ding seinen festen Platz, was für langfristige Ordnung sorgt. Wenn alles – vom Ladegerät bis zur Pflanze – ein Zuhause hat, legst du es nach einer Weile automatisch dorthin zurück. So entsteht mit der Zeit ganz von selbst mehr Struktur, ohne dass du ständig bewusst aufräumen musst. Viele schwören darauf, weil es Struktur ins Chaos bringt und hilft, bewusster mit Dingen umzugehen. Für andere klingt es einfach nur anstrengend, jedes Paar Socken in die Hand zu nehmen und auf das «Joy»-Potenzial zu prüfen.
Die Sache mit dem Falten
Die Kleidung wird nicht einfach gestapelt, sondern so gefaltet, dass jedes Teil stehend in der Schublade Platz findet, so ist alles sichtbar und griffbereit. Ideal ist eine Füllmenge von etwa 90 %, wobei helle Farben vorne und dunklere Töne am besten weiter hinten platziert werden. Das sorgt für mehr Übersicht und vermittelt ein Gefühl von Ruhe und Ordnung, sobald man die Schublade öffnet.
Mein Selbstversuch: Kategorien? Nein, ich räume lieber nach Ecken auf
Ich habe das natürlich auch ausprobiert. Beim letzten grossen Aufräum-Marathon wollte ich es mal «richtig» machen, und zwar mit der KonMari-Methode. Also alles schön nach Kategorien sortieren, jedes Teil in die Hand nehmen und mich fragen: «Macht mich das glücklich?»
Ehrlich gesagt: Ich fand es ziemlich anstrengend.
Mir wurde schnell klar, dass ich einfach anders vorgehe. Ich bin eher der Typ «Zimmer-Ecken-Aufräumerin».
Ich nehme mir eine bestimmte Ecke oder ein Möbelstück vor (Schreibtisch, Schublade, Regal) und arbeite mich dort durch. Das ganze Haus nach Kategorien umzukrempeln, fühlt sich für mich eher überwältigend an. Ich mag es lieber, Raum für Raum Ordnung zu schaffen. Ausserdem möchte ich nicht erst alle Bücher aus verschiedenen Ecken zusammensuchen, während um mich herum schon das Chaos ausbricht. Minimalismus finde ich grundsätzlich toll, aber für mich muss Aufräumen praktikabel bleiben und sich nicht wie ein Mammutprojekt anfühlen.
Der Punkt, an dem Marie Kondo keine Lust mehr hat
Was Marie Kondo geschafft hat, ist beeindruckend: Sie hat Aufräumen zum Lifestyle gemacht. Zum Ausdruck von Selbstfürsorge, Klarheit und Minimalismus. Doch ihre Methode ist auch ganz schön streng und nicht unbedingt für jede Lebenssituation gemacht. Und weisst du was? Sogar Marie Kondo selbst hat irgendwann festgestellt, dass ihr perfekter Ansatz nicht immer funktioniert… Denn obwohl Marie Kondo jahrelang die Königin des minimalistischen Aufräumens war, hat sie irgendwann selbst gemerkt: Das Leben hält sich nicht immer daran. In Interviews hat sie offen erzählt, dass ihr Zuhause seit der Geburt ihrer Kinder nicht mehr so ordentlich ist wie früher. Stattdessen haben sich ihre Prioritäten verschoben – hin zu Familie und Zeit miteinander, statt stundenlangen Ausmist-Aktionen. Sie ermutigt dazu, kleine Aktivitäten zu finden, die Ruhe und Glück bringen. Und mal ehrlich: Das macht sie irgendwie menschlich.
Vielleicht ist das die wichtigste Lektion überhaupt: Es muss nicht immer alles perfekt sein. Hauptsache, wir fühlen uns zuhause wohl – auch wenn die Schublade voller alter Konzerttickets steckt.
Quelle Titelbild: Adobe Stock | 317741865
Marketing Manager Editorial Content
Mit meiner Bucket List aus Kindheitstagen erkunde ich regelmässig neue Orte, Städte oder ganze Länder und geniesse es, die vielfältigen Facetten Europas zu entdecken. Neben meinen Abenteuern in der Ferne ist die Literatur meine grosse Leidenschaft, und ich liebe es, in fesselnde Geschichten und Welten einzutauchen. Wenn ich einmal nicht auf Reisen bin, findet man mich dabei, mit grosser Freude die neuesten Brunch-Spots in meiner Nähe auszuprobieren.
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