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«Was uns fehlt, ist ein positives Framing der Zukunft»

15.07.2025

Georges T. Roos ist einer der renommiertesten Zukunfts- und Trendforscher im deutschsprachigen Raum. An der CONNECT 2025 wird er im Rahmen zweier Keynotes mit anschliessenden Live-Interviews Einblick in sein Denken geben. Wir haben vorab mit ihm gesprochen.

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Georges T. Roos bringt seine langjährige Erfahrung als Zukunftsforscher an die CONNECT 2025. Quelle: Georges T. Roos

Georges, das Motto der CONNECT lautet «Forever Young». Was verrät dieser Wunsch nach ewiger Jugend über unsere Zeit – und was bedeutet er für Unternehmen, die technologisch fit bleiben wollen? 

Mir kommt spontan eine andere Liedzeile in den Sinn: «Who wants to live forever?» Meine Antwort: bestimmt nicht. Aber immer jung bleiben? Das ist schon verlockender. Wir altern heute langsamer, leben länger gesund – aber irgendwann sind Alterserscheinungen einfach da. Sie sind nicht lustig, und wenn die Wunschfee käme und mir ewige Jugend schenken würde, ich würde wohl nicht nein sagen. Der Jungbrunnen ist ein uralter Menschheitstraum. Vielleicht gehören wir – zusammen mit unseren Kindern – zu den ersten Generationen, die ihn realisieren können. 

David Sinclair, Biologe an der Harvard Medical School, vertritt die These, dass alle grossen Alterskrankheiten auf eine gemeinsame Ursache zurückgehen – und dass diese irgendwann behandelbar sein werden. 

Auch Unternehmen können altern. Vor allem, wenn sie im Erfolg träge werden, «Fett ansetzen» und sich nicht mehr bewegen. Doch das ist kein Schicksal. Besonders in der rasanten technologischen Entwicklung lauern Gefahren. Eine davon ist Pfadabhängigkeit: Man hält an gewohnten Systemen fest und optimiert sie weiter, obwohl ein kompletter Neustart manchmal besser wäre. 

Wichtig ist, dass sich Unternehmen mit strategischer Vorausschau – «Strategic Foresight» – beschäftigen. Also mit möglichen Zukünften und Szenarien. Nur so gelingt es, eigene Denkbarrieren zu überwinden. 

In einer Welt, in der sich alles immer schneller verändert – was ist für dich heute überhaupt noch «Zukunft»? Und was nur eine beschleunigte Gegenwart? 

Unsere Vorstellung von Zukunft verändert sich – je nachdem, wie wir Zeit wahrnehmen. In der vorindustriellen Gesellschaft, als viele Menschen von der Landwirtschaft lebten, wurde Zeit als Kreislauf erlebt. Die Jahreszeiten, die immer gleichen Arbeiten auf dem Feld, wiederkehrende Feiertage: Vergangenheit und Zukunft waren ein Kontinuum – alles kam wieder. Nur Katastrophen konnten diesen Rhythmus unterbrechen. 

Unsere Grosseltern im Wirtschaftswunder erlebten Zukunft als Verheissung: als bessere Fortsetzung der Gegenwart. Heute, im digitalen Zeitalter, erleben wir eher das Gegenteil. Alles verändert sich ständig. Überraschungen sind zur Regel geworden. Die Dinge scheinen aus dem Nichts zu kommen – wir geraten aus der Puste. 

Doch Zukunft gibt es nach wie vor – auch langfristig. Was uns fehlt, ist eine positive Vorstellung davon. Es wird keineswegs alles schlechter. Entscheidend ist, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten und wie wir das, was vor uns liegt, «framen». Ich plädiere für einen offenen gesellschaftlichen Diskurs über wünschenswerte Zukünfte. 

Agilität gilt als Schlüsselbegriff unserer Zeit. Doch wo liegt der Unterschied zwischen echter Anpassungsfähigkeit und blindem Reagieren auf jeden Trend? 

Gibt es überhaupt das «blinde Reagieren»? Ein Trend signalisiert, dass sich im unternehmerischen Umfeld etwas Relevantes verändert. Die Frage ist: Wie stark ist dieser Trend? Ist er nachhaltig oder nur ein kurzfristiger Hype? Welche Chancen und Risiken sind damit verbunden? 

Agilität bedeutet für mich: die Nase im Wind haben, Entwicklungen frühzeitig antizipieren – und die eigene Organisation bei Bedarf neu ausrichten. Manchmal liegt die eigentliche Chance nicht im Trend, sondern im Gegentrend.  

Technologie soll Infrastrukturen flexibel und leistungsfähig halten. Aber was braucht der Mensch selbst, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten – geistig, kulturell, vielleicht auch emotional? 

Ein zentrales Konzept ist das der Selbstwirksamkeit: die Überzeugung, dass man etwas bewirken kann – dass man über die nötigen Ressourcen, Fähigkeiten und Rahmenbedingungen verfügt, um Herausforderungen zu meistern. Oder anders gesagt: Vertrauen, Handlungsspielräume und organisatorische Unterstützung. 

Besonders wichtig ist ein entsprechendes Mindset. Ohne Zuversicht und ohne Mut zur Lücke ist das Burnout nicht weit. Ich empfehle: ein gesunder Rhythmus zwischen beschleunigtem Tun und entschleunigter Musse. 

Stellen wir uns vor, wir sässen in zehn Jahren wieder zusammen an der CONNECT 2035. Worüber würden wir dann wohl sprechen – technisch, gesellschaftlich oder menschlich? 

Ganz vorne: Künstliche Intelligenz. Vielleicht auch schon relevante Anwendungen von Quantencomputern. Generative KI sorgt derzeit für Staunen – Millionen Menschen probieren sie aus. In zehn Jahren wird sie allgegenwärtig sein, eingebettet in unterschiedlichste Branchen und Prozesse. Wahrscheinlich keine allumfassende Super-KI, aber spezialisierte Systeme mit konkreten Funktionen. 

Auch beim Klima und der Energieversorgung werden wir an einem anderen Punkt sein. Gerade die IT-Branche muss Lösungen für ihren hohen Stromverbrauch finden. Ich hoffe auf Fortschritte in der Speichertechnologie – eine Schlüsselherausforderung in einer Welt mit wachsendem Anteil erneuerbarer Energie. 

Gesellschaftliche Entwicklungen sind schwerer vorherzusagen. Wir selbst sind ihre Treiber – und unsere Werte ändern sich. Dennoch: Die menschlichen Grundbedürfnisse werden auch 2035 die gleichen sein. Wir suchen Liebe, Geborgenheit, Vertrauen, Sicherheit, Gesundheit – das bleibt. 

Du beschäftigst dich mit sogenannten Megatrends. Welche Entwicklungen siehst du, die Unternehmen heute noch zu wenig auf dem Radar haben? 

Ich unterscheide 16 Megatrends und fünf grosse Transformationen. 

Erstens: die digitale Transformation. KI wird grössere Auswirkungen haben als die Digitalisierung der letzten 25 Jahre. Zweitens: die ökologische Transformation. Unternehmen müssen in eine echte Kreislaufwirtschaft finden – mit langlebigen Produkten, minimalem Ressourceneinsatz und Rückgewinnung der Rohstoffe. 

Drittens: geopolitische Verschiebungen. Die globale Wirtschaft wird nicht verschwinden, aber der Freihandel steht unter Druck. Geostrategie und Machtpolitik gewinnen an Einfluss. Wertschöpfung wird regionaler organisiert. 

Viertens: der demografische Wandel. Europa schrumpft, der Anteil älterer Menschen steigt stark. Gleichzeitig verdoppelt sich die Bevölkerung Afrikas. Was bedeutet das für Arbeitsmärkte, Altersvorsorge und unsere politischen Systeme? 

Fünftens: die Bio-Transformation. Ich bin überzeugt: Das nächste grosse Ding nach Dampfmaschine, Elektrifizierung, Petrochemie und Informatik kommt aus der biologischen Forschung. 

Wenn man Unternehmen nicht nur als Systeme, sondern auch als kulturelle Gebilde versteht – was muss sich im Denken von Führungskräften ändern, damit ihre Organisationen auch in Zukunft stabil und anpassungsfähig bleiben? 

Ich erforsche das Denken von Führungskräften nicht im Detail – darum wäre ich vorsichtig mit pauschalen Aussagen. Aus meiner Sicht sollten Führungskräfte aber kulturelle Vorbilder sein: für Zuversicht, Veränderungsbereitschaft und Gestaltungswillen. Sie sollten sich bewusst sein: Die Menschen um sie herum sind das Wichtigste. Und diese Menschen brauchen genau diese Art von Führung. 

Was macht eigentlich einen echten Megatrend aus – und wie können Unternehmen lernen, nicht nur auf jeden neuen Hype zu reagieren, sondern langfristig zu denken? 

In der Zukunftsforschung ist «Megatrend» ein klar definierter Begriff. Er bezeichnet übergeordnete, langfristige, globale Entwicklungen, die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik strukturell verändern. Megatrends sind das Gegenteil von Hypes. 

Besonders spannend wird es, wenn ein Megatrend zur Disruption führt. In meinen Seminaren mit Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten versuchen wir, diese Kipppunkte zu identifizieren und ihre möglichen Folgen szenarisch abzubilden. 

Ob aus einem Hype ein tragfähiger Trend wird, ist schwer zu sagen. Ich verlasse mich auf den gesunden Menschenverstand: Wie interagiert das Neue mit anderen Entwicklungen? Gibt es verstärkende Effekte? Wenn nicht, bleibe ich skeptisch.

Johannes Hapig

Head of Content, Newsroom & PR

Einmal Journalist, immer Journalist: Neben meiner strategischen Arbeit in der erweiterten Geschäftsleitung von Brack.Alltron habe ich die Leidenschaft für grosse Themen – und gute Geschichten – nicht verloren. Wenn sich Gelegenheit und Zeit bieten, schreibe ich hier über Transformation, Business, Zukunft und unser Unternehmen; freue mich aber auch, hin und wieder einen Beitrag mit kulturellem Background beisteuern zu dürfen. Dabei helfen mir meine Leidenschaft für Netflix, Kino, Theater … und meine viel zu hohe, tägliche Bildschirmzeit bei TikTok.

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